Die zwöf Jünger Jesu - Geschichten mit Charakter

Im Original sind außer diesen Erzählungen auch die Details der Charakterstudie zu finden.
Die hier für die zwölf Jünger Jesu angegebenen Charaktere sind nicht als umfassende Charakterisierung ihrer Person zu verstehen. Es sind Charaktereigenschaften, die sich aus dem biblischen Text erarbeiten lassen. Aufgrund der meist geringen Anzahl von Zeugnissen über das Verhalten der einzelnen Jünger muss auch offen bleiben, ob es sich wirklich um eine typische Eigenschaft des jeweiligen Jüngers handelt. Intention für die Charakterisierung ist, die Identifikation mit den Jüngern zu erleichtern, z.B. um die persönliche allgemeine und spezielle Berufung Gottes im eigenen Leben zu reflektieren (Mk 3,14), oder den Aufrag, den Jesus seinen Jüngern gab, im eigenen Alltag zu beleben (Mt 28,19-20).

Simon Petrus – der Spontane
♦ Petrus holt Luft. Das war ein anstrengender Tag gewesen. Jesus hatte vor einer riesigen Menge von Menschen gepredigt. Nun ist es Abend und während Jesus die Menschen verabschiedet, sollen seine Jünger schon mal über den See vorausfahren. Nachdem alle fort sind, nutzt Jesus das Alleinsein, um zu beten. Inzwischen rudern die Jünger und rudern, aber sie kommen nicht vorwärts. Die Nacht vergeht. Sie müssten längst am anderen Ufer sein, aber sie hängen immernoch auf der Mitte des Sees fest. Kurz vor dem Morgengrauen beschließt Jesus zu ihnen zu gehen. Als die Jünger eine Gestalt auf dem Wasser auf sich zukommen sehen, schreien sie vor Angst: „Ein Gespenst!” Jesus versucht sie zu beruhigen: „Ich bin es, fürchtet euch nicht!” Aber sie sind misstrauisch. Petrus kommt ganz spontan ein Gedanke. Er wird diese Gestalt auf die Probe stellen: „Wenn du es bist, befiel mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen.” „Komm!”, sagt Jesus. Petrus steigt aus dem Boot und geht auf dem Wasser auf Jesus zu. Was für eine außergewöhnliche, ich würde fast sagen: lebensgefährliche Idee. Petrus ist stets schnell entschlossen. ♦ Petrus trägt sein Herz auf der Zunge. Es ist der Abend vor der Kreuzigung Jesu. Die Jünger sind mit Jesus zusammen, der vom Tisch aufsteht, sein Oberkleid auszieht, sodass er wie ein Sklave aussieht, sich ein Tuch umbindet, Wasser in eine Schüssel gießt und damit beginnt, jedem der Jünger die Füße zu waschen. Auch Simon Petrus kommt an die Reihe. Als Jesus so vor ihm hockt, seinen Fuß mit dem Wasser benetzt, fragt Petrus fassungslos: „Herr, du wäschst meine Füße?” Jesus verweigert Petrus die Erklärung: „Später wirst du es verstehen.” Da bricht es aus Petrus heraus: „Nimmermehr sollst du mir meine Füße waschen!” Petrus lässt sich nicht auf später vertrösten. Wenn die Gedanken in ihm brodeln, müssen sie heraus. Schnell gesprochene Worte, ehrlich, direkt und ohne großartig nachzudenken. ♦ Es ist Nacht. Jesus ist mit seinen Jüngern im Garten Getsemane. Gerade jetzt kommen die Soldaten, um Jesus zu verhaften. Einige seiner Jünger haben Schwerter gezogen und sind bereit Jesus zu verteidigen. Sie haben gefragt: „Sollen wir dreinschlagen?” Jesus antwortet nicht sofort. Immer näher kommen die Soldaten heran, gleich wird der letzte Fluchtweg abgeschnitten sein. Wie lange will Jesus noch schweigen? Wann ruft er endlich: „Jetzt!” Aber Jesus steht nur ruhig da. Kein Wort kommt über seine Lippen. Einer der Jünger hält es nicht mehr aus. Er greift an, holt aus, seine Schwertschneide pfeift durch die Nachtluft. Der Bedrohte sieht das Metall im Fackelschein über sich blitzen. Geistesgegenwärtig duckt er sich und springt einen Schritt zurück. Das Schwert verfehlt seinen Kopf um Haaresbreite und trennt ihm die Ohrmuschel vom Schädel. Der Verletzte hieß Malchus, der Angreifer Simon Petrus. Sein von schnellen Taten übersprudelndes Wesen hat alle in Lebensgefahr gebracht.

Andreasder Fürsprecher
♦ Andreas gehörte schon seit längerem zu den Menschen, die sich um Johannes den Täufer sammelten. Als heute Johannes über Jesus sagte: „Dies ist das Lamm Gottes”, war er zu Jesus gegangen. Jesus hatte ihn angesprochen und eingeladen. Andreas war den ganzen Tag bei Jesus geblieben. Am Abend suchte er nach seinem Bruder, das musste er ihm unbedingt erzählen. „Wir haben den Christus gefunden!” ruft Andreas, als er Simon endlich entdeckt. Bestimmt hätte Simon keine Begleitung gebraucht, diese Nachricht war so wichtig, dass er sich sofort zu Jesus aufmachte. Aber Andreas lässt sich das nicht nehmen, Simon den Weg zu zeigen und ihn Jesus vorzustellen. Andreas gefällt es, sich für andere einzusetzen. ♦ Andreas war dabei, als Jesus zum letzten Mal in seinem irdischen Leben nach Jerusalem reist. Nur noch wenige Tage sind es bis zu Jesu Kreuzigung. Wie immer sammeln sich Menschenmengen um Jesus, so viele, dass es Beobachtern erscheint, als lief die ganze Welt ihm nach. Sogar Festgäste, die aus dem Ausland zum Passa angereist sind, kommen und möchten Jesus sehen. Aber an Jesus ist wegen der vielen Menschen nicht ranzukommen. Philippus, an den sie sich gewendet hatten, holt sich Rat bei Andreas: „Was meinst du, dürfen wir diese Griechen zu Jesus zu bringen?” Andreas muss nicht lange überlegen: „Ja, klar, kommt mit!” Da ist er in seinem Element. Ein gutes Wort für andere einlegen, das macht er gerne.

Jakobus, Sohn des Zebedäus – der Selbstbewusste
♦ Jakobus will den besten Platz. Das hat sich keiner getraut. Sie haben sich manches Mal gestritten, wer wohl unter ihnen der Größte ist. Aber Jakobus geht mit seinem Bruder direkt auf Jesus zu: „Jesus, erfülle uns eine Bitte.” Jesus fragt: „Was denn?” „Mein Bruder und ich, wir möchten, wenn du dann mal König bist, die zwei besten Plätze haben, direkt an deiner Seite.” Jesus gibt zu bedenken: „Habt ihr die denn verdient?” „Ja!” Jesus muss sie belehren, dass wahre Größe darin besteht, den anderen zu dienen. Also wird das nichts mit dem besten Platz für Jakobus. Aber es bleibt, dass er so von sich überzeugt ist, dass er Jesus mit dieser Bitte bestürmte. ♦ Jakobus ist stolz auf Jesus. Sie sind unterwegs nach Jerusalem. Dabei müssen sie durch ein Gebiet, in dem Menschen wohnen, die sich mit den Juden nicht gut verstehen. Als es Zeit für eine Rast wird, schickt Jesus Boten in ein Dorf, die alles für die Pause einkaufen und vorbereiten sollen. Aber weil Jesus Jude ist, verbieten die Dorfbewohner ihm und seinen Begleitern, auf ihrem Gebiet auszuruhen. Die Boten kehren unverrichteter Dinge zur Reisegesellschaft zurück. Als Jakobus das erfährt, wird er wütend. Er ist so überzeugt von sich und von Jesus. Solch eine Beleidigung kann doch nicht einfach hingenommen werden. Er schlägt vor: „Jesus, erlaube mir zu befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt, um dieses Dorf mit allen seinen Einwohnern zu vernichten.” Aber Jesus schimpft mit ihm. Vor lauter Stolz hat Jakobus ganz vergessen, dass sie nicht zum Töten unterwegs sind, sondern um Menschen zu retten.

Johannesder Beter
Wie sein Bruder Jakobus, ist auch Johannes von sich überzeugt. Und doch unterscheidet er sich von ihm: ♦ Johannes liegt bei Tisch direkt vor Jesus. Sie sind mittendrin in einem heiklen Thema. Jesus hat ihnen gerade eröffnet, dass einer der Jünger ihn verraten wird. Jeder von ihnen stellt sich innerlich die Frage, wen er wohl gemeint haben mag. Aber keiner traut sich, diese Frage direkt an Jesus zu stellen. Was wäre das für eine Schande, wenn Jesus dann sagt: „Du selbst bist es.” Wie scheinheilig stünde man da. Nein, das mochte keiner auf sich nehmen. Wer wäre der geeignete Mann für diese Frage? Einer der über jeden Zweifel erhaben ist, einer mit dem Jesus besonders gern zusammen ist. Simon Petrus gibt diesem Mann einen Wink: „Johannes, du musst Jesus jetzt fragen, wen er denn gemeint hat.” Johannes fragt. Und tatsächlich beantwortet Jesus die Frage. ♦ Johannes steht in Hörweite bei Jesus am Kreuz. Kein anderer der zwölf Jünger hat sich hierher gewagt. Keiner von ihnen hat sich Jesus in dieser Zeit seines Sterbens so nahe zur Seite gestellt. Nur Johannes stand nahe genug, um Jesu letzten Willen hören und erfüllen zu können. ♦ Johannes erkennt Jesus als Erster. Jesus hatte sich nach seinem Tod den Jüngern gezeigt. Vielleicht konnten sie wegen der Aufregung nicht schlafen. Jedenfalls folgen sie Simon Petrus Vorschlag, in dieser Nacht fischen zu gehen. Sie fangen nichts, aber am Morgen ruft ihnen ein Mann, der am Ufer steht, einen Tipp zu, wie sie doch noch etwas fangen können. Und tatsächlich: sie machen einen Jahrhundertfang. Alle staunen, aber nur einer begreift, wer dort am Ufer steht. Es ist Johannes, der feststellt, dass Jesus dort wartet. Er ist Jesus innerlich so nah, dass er ihn auch auf diese Entfernung erkennt, obwohl die aufgehende Sonne blendet.

Philippusder Einladende
♦ Philippus ist von Jesus in die Nachfolge gerufen worden, als Jesus vorhat nach Galiläa aufzubrechen. Vor der Abreise sucht Philippus einen Mann auf, der auch aus Galiläa nach Jerusalem angereist ist. Sie hatten sich schon mal über ihre Hoffnung unterhalten, dass Gott den in der Schrift verheißenen Retter schicken würde. Jetzt will er unbedingt berichten, dass er in Jesus diesen Retter gefunden hat. Am liebsten wäre ihm, wenn Nathanael sich auch anschließen würde, jetzt mit ihm und Jesus nach Galiläa zurückreisen würde. Doch er steht vor einem ernsten Problem. Nathanael ist überzeugt, dass Philippus im Irrtum ist. Denn das, was Philippus über Jesus berichtet, widerspricht den Verheißungen, die Nathanael aus der Schrift kennt. Es gelingt Philippus, Nathanael trotz dieser Vorbehalte zu einer Begegnung mit Jesus zu bewegen. Die Vertrauen erweckende Art des Philippus siegt über den berechtigten Zweifel ♦ Philippus ist dabei, als Jesus zum letzten Mal in seinem irdischen Leben nach Jerusalem reist. Nur noch wenige Tage sind es bis zu Jesu Kreuzigung. Wie immer sammeln sich Menschenmengen um Jesus, so viele, dass es Beobachtern erscheint, als lief die ganze Welt ihm nach. Sogar Festgäste, die aus dem Ausland zum Passa angereist sind, kommen und möchten Jesus sehen. Aber an Jesus ist wegen der vielen Menschen nicht ranzukommen. An wen wenden sie sich? An den Mann, dessen Erscheinungsbild ihre Zuneigung und ihr Vertrauen weckt: Philippus.

Bartholomäusder Unbekannte

Matthäusder Genießer
♦ Matthäus fragt oft nach dem Sinn des Lebens. Aber er ist kein Mann von Traurigkeit. Er feiert gerne und genießt sein Leben. Das ist ziemlich teuer. Um das gute Leben bezahlen zu können, ist er Steuereintreiber am Zollhaus von Kapernaum geworden. Die meisten Leute hassen ihn deswegen. Was er einnimmt, wird letztendlich an die Weltmacht Rom abgeführt. Aber das ist ja nicht der Grund, warum er diesen Job macht. Ihm gefällt, dass von dem, was er an Steuern einnimmt, mehr als genug für ihn und sein ausgelassenes Leben übrig bleibt.

Thomasder Genaue
♦ Thomas ist einer von denen, die genau zuhören. Und nachdenken. Jesus hat gerade erklärt, dass er nun bald gekreuzigt werden wird. Aber sie sollten darüber nicht erschrecken, er gehe zum Vater und werde wiederkommen, um sie zu sich zu holen. Der letzte Satz war: „Wohin ich gehe, dahin wisst ihr den Weg.” „Moment”, denkt sich Thomas, „Jesus geht zu seinem Vater, zu Gott. Dahin sollen wir den Weg kennen? Na, als ob das so einfach wäre. Dann wären wir längst hingegangen.” „Nein!”, sagt er, „wir kennen den Weg nicht!” Halbe Sachen mag Thomas nicht. Er muss genau wissen wo es lang geht. ♦ Thomas verlässt sich nicht gerne auf andere. Er muss sich selbst überzeugen könnnen. Jesus hatte sich den Jüngern nach seinem Tod lebendig gezeigt. Thomas war nicht dabei gewesen. Als sie ihm davon erzählen, glaubt er seinen Freunden nicht. Er muss Jesus selbst sehen und anfassen können. Tatsächlich geht Jesus darauf ein. Er zeigt sich den Jüngern ein weiteres Mal. Thomas kann mit eigenen Augen sehen, dass Jesus lebt und darf ihn anfassen. Das bringt Thomas zu dem überwältigenden Glaubensbekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!” Wenn Thomas einmal von etwas überzeugt ist, vertritt er dies eben mit derselben Zuverlässigkeit und Gewissenhaftigkeit, mit der er sich die Überzeugung verschafft hat.

Jakobus, Sohn des Alphäus – der Unbekannte

Simon der Zelot – der Weltverbesserer
♦ Simon gehört zu einer bewaffenten Untergrundbewegung, die sich gegen die Fremdherrschaft der Römer in Judäa auflehnt. Als Simon von Jesus berufen wird, gibt es diese Widerstandsbewegung schon 25 Jahre. Mehr als 100 Jahre lang macht sie den Römern das Leben in Judäa schwer. Immer wieder werden die Zeloten von breiten Bevölkerungsschichten unterstützt, sodass aus dem dauernden Partisanenkampf manchmal richtige Volksaufstände werden. Simon ist überzeugt, dass sich im Leben nur dann etwas ändert, wenn man dafür kämpft. In seinem Land soll es wieder gerecht zugehen. Er will, dass Gott selbst wieder König über Judäa sein kann. Und er will, dass die Ausbeutung des Landes durch die Römer aufhört.

Judas Thaddäus – der Bescheidene
♦ Judas ist davon überzeugt, dass seine Mitmenschen mindestens genauso wichtig sind, wie er selbst. Jesus ist gerade dabei, seine Jünger darüber zu trösten, dass er bald gekreuzigt werden wird. Er verspricht, einen Helfer zu schicken, den Heiligen Geist. Außerdem versichert Jesus, dass die Jünger ihn nach seinem Tod sogar nochmal wiedersehen werden, aber nur sie, nur die, welche ihn lieben. Judas hält das für keine gute Idee. „Herr, wie kommt es, dass du dich uns offenbaren willst und nicht der Welt?”, fragt er. Warum sollen sie, die Jünger Jesu, solch einen Vorteil bekommen? Warum nicht auch alle anderen Menschen? Es gab doch so viele Menschen, die wesentlich bedeutender waren als sie, die Jünger Jesu.

Judas Iskariot – der Unechte
♦ Judas schnuppert. Tief und langsam atmet er durch die Nase ein. Das duftet gut! Narde, kostbare Narde. Import aus Indien. Da hockt Maria und verteilt das Öl andächtig auf Jesu Füßen. „Nein”, denkt Judas, „ein Vermögen! Verschwendet!” Judas macht seinem Ärger Luft: „Das Salböl war mehr als einen Jahreslohn wert. Warum ist es nicht verkauft worden, damit wir das Geld den Armen geben können?” Bei sich dachte er: „Wie gut, dass ich beim Lügen nicht rot werde. Die Armen sind mir so was von egal. Aber ich könnte wahnsinnig werden, wenn ich mir vorstelle, was ich mit dem vielen Geld alles für mich hätte kaufen können. Wie gut, dass man mir die Gemeinschaftskasse anvertraut hat und alle dumm genug sind, mich nicht zu kontrollieren. Ich muss unbedingt aufmerksamer sein, damit solch eine Verschwendung nicht nochmal passiert.” ♦ Judas ist auf dem Weg zum Haus des obersten Priesters. „Gut, dass ich unauffällig gehen konnte”, denkt er, „kaum zu glauben, dass mir Jesus selbst dazu die Gelegenheit gegeben hat. Wenn der wüsste, weshalb ich unterwegs bin. Jetzt kann ich dem Priester endlich den Tipp geben, wo sie Jesus ohne Aufsehen verhaften können. Der Garten, in dem wir übernachten, ist dafür wie geschaffen.” Judas hastet weiter durch die nächtlichen Straßen und Gassen von Jerusalem. Seine Gedanken überschlagen sich: „Ein Zeichen sollte ich auch noch mit ihnen vereinbaren, damit sie den richtigen erwischen. Soll ich auf ihn zeigen? Hm, nein. – Oh ja, ich habs: Ich werde ihm einen Begrüßungskuss geben. Das ist ganz natürlich und keiner wird merken, dass es das Zeichen ist, mit dem ich ihn an die verrate, die ihn verhaften werden. Jeder wird denken, ich hätte damit nichts zu tun. Das mit dem Kuss ist eine ausgezeichnete Idee. So kann ich den Schein wahren, dass ich weiterhin zu den Jüngern gehöre.”


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